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falterika wert

Jetzt hab ich es schon wieder getan. Schon wieder eine Neuerwerbung. OK, sie war nicht teuer. Dafür ist sie sehr elegant. Sanfte Rundungen und wenn man die richtigen Knöpfe drückt, geht einem schonmal das Herz auf oder bei ihr der Deckel. So langsam muss ich lernen, mein Hobby im Zaum zu halten.

21. September 2023 

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Als ich ein kleiner Junge war, war ich gerne bei meiner Oma. Diese war – nachdem wir sechs Jahre lang zu fünft in einer kleinen 50-qm-Meter-Dreizimmerwohnung gelebt haben – nach Striesen gezogen. Oma hatte eine Optima. Mein Großvater, der lange vor meiner Existenz gestorben war, hatte diese sich Anfang der 1950er Jahre vom Munde abgespart; buchstäblich, denn in seinem Tagebüchern steht, wie er noch Birnen gegen Tabak oder Kartoffeln getauscht hat. Dabei ging es ihnen mal gut, bis der Krieg … Aber das ist eine andere lange Geschichte. 

Es wird also Zeit, mal über ein kleines Hobby zu schreiben. Es ist nicht so raumgreifend wie zum Beispiel alte Autos zu sammeln oder Windsurfing zu betreiben oder Ballonfahren. Übrigens: Wussten Sie schon, dass nur die Deutschen Ballon fahren? In allen anderen Sprachen fliegt man im Ballon, erklärte mir mein Ballone-Pilota Alberto aus dem Pustertal … Aber das ist eine andere lange Geschichte.

Weitaus preiswerter und platzsparender sind da Schreibmaschinen. Man kann mit ihnen viele Sachen machen. Man kann einen Roman schreiben oder ein paar Fragmente, man kann Liebes- und andere Briefe schreiben. Manche hämmern auf ihrer Schreibmaschine herum, bis aus der Schattierung von übereinandergedruckten Buchstaben ein Bild entstanden ist. Ja, einige zerpflücken Schreibmaschinen sogar, um aus den Einzelteilen Skulpturen oder eine Art Schmuck zu bauen.

good people

Schreibmaschinen sind also spannend konstruiert und lassen sich konstruktiv im wahrsten Sinne des Wortes verwenden. Meine werden überwiegend für Briefe verwendet. Ja, ich weiß, einige bestehen darauf, dass persönliche Briefe von Hand und am besten mit Feder bzw. Füllfederhalter geschrieben werden. Ich kann das nachvollziehen und mit einer einigermaßen lesbaren Handschrift gesegnet, pflege ich auch dies zu tun.

Mit einer Schreibmaschine sieht das Resultat dann aber doch irgendwie gleichmäßiger aus. Schreiben lässt sich auf solch einem Gerät alles: Einkaufszettel, der Plan für das Mittagsessen,  kurze Notizen, kleine Geschichten, wissenschaftliche Arbeiten, ganze Romane. Ich nehme die Schreibmaschine gerne für einen kleinen Gruß oder einen langen Brief. Die Reaktionen der Empfänger sind ausnahmslos positiv. Manche machen sie die Mühe, selbst ihre alte Schreibmaschine zu suchen oder sie greifen zur Feder. Nimm dies, E-Mail!

Doch zurück zur Optima meiner Oma. Da habe ich als Kind gerne drauf getippt. Später lief mir eine Ideal Modell D von Seidel & Naumann Dresden zu. Eine große, schwere Maschine für den stationären Einsatz. Die wurde mir noch in den 80er Jahren geschenkt. Die Ideal ist heute noch da. Die Optima ist beim Elbehochwasser zerstört worden.

Nach dem Umzug nach München habe ich mir eine rote IBM-Kugelkopfschreibmaschine zugelegt.

ibm
vorn

Diese ist zwar elektrisch, hat aber den unschlagbaren Vorteil einer breiten Auswahl an Kugelköpfen mit unterschiedlichen Schriften. Neben einer Kursivschrift und einer OCR-Schrift gibt es z.B. auch eine "Gothic". Das ist fast schon eine richtige Frakturschrift, nur ohne Lang-S und ohne Ligaturen. Schon die Werbung aus den 60ern zeigt, wie schnell sich schreiben lässt und wie man die Köpfe auswechselt:

Faszinierend!

Erworben habe ich diese damals im Versuch, ein kleines Museum der Textverarbeitung aufzubauen, aber schnell machte sich der enorme Platzbedarf für ein solches Vorhaben bemerkbar. So dümpelte die kleine Sammlung, die keine war, eine Weile vor sich hin und bei jedem Umzug wurde sie kleiner statt zu wachsen. Während ich immer mal mit der IBM-Kugelkopfschreibmaschine etwas geschrieben habe, blieb das Hobby lange Zeit eher auf Sparflamme.

Die Sparflamme blieb auch klein, bis ich den Film California Typewriter (https://en.wikipedia.org/wiki/California_Typewriter) gesehen habe. Ein unterhaltsamer Film über Schreibmaschinenenthusiasten. Vor ein paar Jahren fand ich zudem die www.typewriterdatabase.com. Eine sorgfältig gepflegte und sehr umfangreiche Datenbank mit Seriennummern und Baujahren und anderen technischen Daten sowie mit vielen Galerien mit mehr oder minder raffiniert in Szene gesetzten Maschinen und ihren Details.Übrigens: In den 1970ern war meine Tante ganz groß in deutschen und womöglich internationalen Wettbewerben im Schreibmaschinentastschreiben (DDR-Meisterin, Europa-Vize, wenn ich es richtig in Erinnerung habe). Über solche Schreibmaschinenwettbewerbe ist vor ein paar Jahren ein sehenswerter und unterhaltsamer Film (https://www.imdb.com/title/tt2070776) erschienen.

So stieß ich erst etwa 45 Jahre nach den Versuchen auf Omas Optima Elite erneut auf das Thema – und stolperte prompt über eine Optima Plana.

plana flach

Diese gilt als flachste Schreibmaschine, die in größeren Mengen hergestellt worden ist. Sie hat außerdem eine spannende Historie, weil sie bei zuerst bei "DM" (einer Art Mechanik-Gilde) erfunden und dann von Olympia in Serie gebaut worden war. Nach dem Krieg war sie zunächst in der amerikanischen und der sowjetischen Zone weiter gebaut worden. Dann erbte Optima Erfurt offensichtlich die Rechte und baute sie bis in die 1950er weiter. Während die ersten Modelle noch Bakelit-Gehäuse hatten, kamen sie später mit Metallgehäusen zum Schreiberling.

plana keys

Das war aber leider auch der Auslöser, nach weiteren interessanten Maschinen zu gucken. So kam dann eine Erika S hinzu. Diese hier ist 1937 gebaut worden und wurde neulich verschenkt.

erika s

Das besondere an der Erika S ist nicht nur unsere gemeinsame Heimat Dresden, sondern diese herausragende Konstruktion der Typenhebel, die trotz der geringen Größe der Maschine für einen besonders leichten Anschlag sorgen, und deshlab ging es nun Schlag auf Schlag.

Die nächste Schreibmaschine war eine Erika 10. Diese gehört schon zu den Nachkriegsmodellen. Ebenfalls ein exzellent weicher Anschlag und die beste Maschine im Bestand.

erika 10 wert

Die Liebe zum Detail – darunter das aus Metall geformte und mit einer feinen blauen Linie ausgelegte Logo – ist beeindruckend. Der Deckel wird nicht einfach heruntergrissen, wie bei so vielen Maschinen. Nein! Es gibt an der Seite einen kleinen Hebel. Lupft man diesen, löst sich die Halterung und zwei Federn bewegen den Deckel in einer anmutigen Bewegung nach oben.

erika 10 fontsample

Auf diese folgte nach nur sehr kurzer Zeit eine Mignon. Die Mignon 4 ist eine Zeiger- oder Index-Schreibmaschine. Die Mignons haben einen verblüffend einfachen und sehr robusten Mechanismus. Die Robustheit und die einfache Bedienung ohne Zehnfingersystem haben dazu beigetragen, dass diese Maschinen über einen Zeitraum von rund 30 Jahren hinweg gebaut worden sind. Zum Schreiben wird ein Zeiger über ein Feld mit Buchstaben und Zahlen geführt. Weil der Zeiger über nur zwei Stangen mit einem Typenzylinder verbunden ist, wird dieser mit jeder Bewegung des Zeigers ein Stück gedreht oder verschoben. Dann wird das zur Zeigerposition passende Zeichen auf das Farbband geknallt, wodurch die Farbe auf das Papier übertragen wird.

mignon zylinder

Da es so einfach ist, lassen sich verblüffend hohe Schreibgeschwindigkeiten erreichen. Beim Schreiben eines Briefes, beispielsweise, überlegt man sich die Wörter ja sowieso etwas gründlicher und in der Zeit hat man längst den Zeiger x-mal über die Buchstabentafel geführt und mit der Taste angeschlagen. Fast hätte ich geschrieben, dass es die einzige Taste ist. Das ist aber nicht ganz richtig, denn die Mignon hat in der Tat satte drei Tasten: eine zum Schreiben, eine für das Leerzeichen und ab den späteren Modellen tatsächlich eine Rückschrittaste, im Englischen Backspace genannt. Der Rest, wie Papiertransport oder Zeilenschaltung, wird über kleine Hebel gelöst, die wie diese kleinen Eislöffel aus den 70ern aussehen.

mignon mechanik

Die Mignons waren in der DDR sehr beliebt, weil die Stasi von diesen Vorkriegsmodellen keine richtige Zuordnung von Schreibmuster zu Eigentümer hatte. Wer weiß, wie viele kritische Briefe oder Pamphlete auf diesen Zeigerschreibmaschinen verfasst worden sind.

mignon fontsample

Auf die Mignon folgte schnell noch eine länger ersehnte Falt-Erika, also eine der sehr frühen transportablen Schreibmaschinen. Das hier gezeigte Modell ist eine Erika 2 und wohl ziemlich genau von 1911.

falterika gefaltet

Das Besondere ist hier, dass man die Schreibwalze mit all ihren Hebelchen nach vorne klappen kann. Dadurch wird aus der an sich schon schmalen Maschine ein kompakter Würfel. Sie ist zudem besonders leicht. Samt Koffer muss der Autor und Briefschreiber hier nur rund 5 kg mitschleppen. So gesehen, war die Klapp-Erika das erste Laptop-Textverarbeitungssystem. (Ja, es gab ein sehr ähnliches Modell aus den USA, das wohl Anregungen für diese Konstruktion geliefert hat.)

Außerdem hat die Klapp-Erika nur drei Tastenreihen. Das bedeutet, dass die Tasten drei Belegungen haben. Eine für Kleinbuchstaben, eine für Großbuchstaben und eine für Ziffern und Sonderzeichen. Dementsprechend sind auf den Typenhebeln drei statt der üblichen zwei Zeichen untergebracht und die Maschine hat zwei Umschalttasten. Die Klapp-Erika wünscht sich Zuneigung und erwartet eine gewisse Umgewöhnung.

Wenn man so durch das Netz stöbert, stößt man bald auf die Webseiten eines amerikanischen Philosophieprofessors, der sich ausführlich mit Schreibmaschinen beschäftigt. In einem seiner Blog-Beiträge beschreibt er – unterstützt durch eine hoch wissenschaftliche Untersuchung – die perfekte Schreibmaschine (https://writingball.blogspot.com/2016/06/the-perfect-typewriter-found.html). Die Fragestellung seiner Mini-Studie: Was muss eine Schreibmaschine können? Welche Merkmale muss sie haben?

Dabei kommen ganz witzige Gedanken zum Vorschein. So haben große Büromaschinen einen Hebel, der das Papier mit einem Ratsch bis zur ersten Zeile einzieht: kein Geraderuckeln, keine Drehungen am Walzenknopf, kein Sortieren der Papierroller. Ratsch – und der Stapel mit allen Durchschlägen ist bis zur ersten Zeile eingezogen. Dummerweise wiegen diese Maschinen gerne mal 20 kg und passen eher in große Holzkisten als elegante Koffer.

So kam der amerikanische Professor auf eine beachtliche Liste an Produkteigenschaften von denen die Segmentumschaltung, die    a u t o m a t i s c h e   S p e r r s c h r i f t ,   ein Typenentwirrhebel, vier Zeilenschaltungen, magische Randsteller und die Halbschrittleertaste, auch korrigierende Leertaste genannt, hervorgehoben werden sollen. Die Tabulatorpositionen können einzeln gesetzt und einzeln oder auf einmal gelöscht werden. Eine sehr pfiffige Tabulator-Bremse dämpft die Bewegung des Wagens, wenn er zur Tab-Position rauscht. Die Tabulatorbremse funktioniert mit einem Metallriemen, dessen Straffheit eingestellt werden kann.

Es ist nicht schwer zu erraten, dass so eine Maschine herbei musste. Zumal genau so eine Maschine bei Kunst & Krempel, einer Fernsehsendung des Bayerischen Rundfunks (https://www.youtube.com/watch?v=ieY6ZDkvLEA), in meinem Beobachtungszeitraum von den "Experten" erklärt und bewertet worden ist. Diese sind zwar in vielen Design-Objekten bewandert, wie sie im Moma oder der Münchner Pinakothek der Moderne stehen, aber bei Schreibmaschinen kennen sie vielleicht doch nur die Olivetti Valentine so richtig genau. Sie waren diese bei dieser Maschine recht ratlos und haben gar nicht erkannt, was für ein Schätzchen es ist. Es war eine Erika 20, wie sie o.g. Prof. Polt als beste (tragbare) Schreibmaschine ermittelt hat. Alle Funktionen der Büromaschinen (bis auf den erwähnten Einzugshebel) findet man in der Erika 20.

erika20 totale

Allerdings liegen die Experten des BR in einigen Punkten daneben: Von der Erika 20 wurden nur etwa 15.000 Exemplare über den Zeitraum von 1960 bis Anfang 1962 produziert und eben auch in die Bundesrepublik und nach Amerika exportiert. Dabei sind 15.000 Exemplare für Erika-Produktlinien in der Tat wenig, wurden andere Modellreihen ja doch eher über lange Zeiträume und mitunter zu hunderttausenden gebaut. Auch bei der Preisschätzung von 20 bis 30 Euro liegen sie um mindestens hundert Euro daneben. Das Exemplar im Fernsehen hat außerdem die seltende Farbe Fischsilber, einen aufwendigen Lack mit Metallic-Effekt. Auf die automatische Sperrschrift sind sie gar nicht erst eingegangen, obwohl das eines der herausragenden Merkmale dieser Maschine ist, die auch als "Erika M" der 60er bezeichnet wird.

Meine Erika 20 aus der DDR wurde als "Neckermann" Modell "Brillant Super" für den Export in das westdeutsche Katalogkaufhaus Neckermann umbenannt. Meine Neckermann ist trotzdem eine echte Erika 20 (siehe https://typewriterdatabase.com/Erika.20.242.bmys). Historischer Fakt: Sie wurde im gleichen Jahr wie die Berliner Mauer gebaut. Die Schreibmaschine existiert noch immer.

Die Schriftart dieser Schreibmaschine ist die Erika Perl mit ihrem ganz besonderen Zeichenabstand von 11,5 Zeichen pro Zoll oder 2,25 mm Zeichenweite. (Diese elegante Schrift hat übrigens auch die schon erwähnte Erika 10.) Sie hat sechs Zeilen pro Zoll vertikalen Einzelabstand. Der Wagen ist 100 Zeichen breit. Durch Umlegen von Hebeln an der linken und rechten Seite (nahe der Rückseite) kann man den Wagen der Erika 20 leicht abnehmen, um ihn zu reinigen oder um die Schreibmaschine mit einem schmalen oder breiteren Wagen auszustatten.

Sie hat auch eine Segmentumschaltung. Die meisten Kleinschreibmaschinen haben eine Wagenumschaltung, bei der man mit Hilfe einer geschickten Umlenkung von Hebelkraft den ganzen Wagen einschließlich der Randsteller und der Tabuliervorrichtung anheben muss. Kraftsport für den kleinen Finger sozusagen. Im Gegensatz dazu ruckt bei der Erika 20 der gesamte Korb mit den Typenhebeln nach unten. Den Typenkorb, das sogenannte Segment, nach unten zu ziehen kostet weit weniger Kraft als den Wagen nach oben zu wuchten.

erika20 fontsample

Damit ist die Erika 20 eine der – bis zu diesem Zeitpunkt in der Produktion – seltenen Kleinschreibmaschinen mit Segmentumschaltung. (Dennoch scheint die Erika 10 den weicheren Tastenanschlag zu haben.)

Ist es also verwunderlich, dass das erste Wort, das man auf einer Tastatur lesen kann, das Wort »Wert« ist? Wer in die Welt der Schreibmaschinen eintaucht, wird erstaunliche vieles im Interweb finden. Auch über die Reparatur gibt es Videos. Dabei wird eines immer klar: Im Gegensatz zum Computer funktionieren sie gänzlich ohne Strom, sind also zur Texterfassung überaus umweltfreundlich. Das Geschriebene lässt sich heute mit dem Smartphone abfotografieren und per OCR-Software in computerlesbaren Text umwandeln.

Nein, es ist keine Sammlung. Ich habe auch schon eine Maschine an einen Freund verschenkt und auch demnächst wird wieder eine verschenkt. Ja, eine Schreibmaschine mit Fraktur wäre sehr interessant? Nur her damit. Vielleicht finde ich auch eine Gelegenheit, eine weitere Maschine reparieren zu lassen. Das wäre eine elektromechanische (mit Motor, aber mit Typenhebeln und ohne Elektronik) und zwar von dem Modell, das einst Kurt Vonngegut, einer meiner und meines Vaters Lieblingsautoren, für seine literarische Arbeit verwendet hat.

Auch mit dieser Maschine würde sich ein Kreis schließen: Kurt Vonneguts berühmtes Buch »Schlachthof Nr 5 oder der Kinderkreuzzug« handelt in Dresden, keine drei Kilometer vom Erika-Werk entfernt.

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