schließen
Sie sind hier:

24 JULI 2009

Verkehrte Welt

Am 7. Mai 2009 hat die renommierte Uhrenfabrik „A. Lange & Söhne“ eine interessante neue Uhr vorgestellt. Dabei ging man, was die Vorstellung des neuen Produkts betrifft, nach einer Methode vor, die seit einigen Jahren „Mode“ ist – und dabei so kontraproduktiv wie kaum anders denkbar. (Obwohl das konkrete Ereignis schon mehr als zwei Jahre zurückliegt hat es doch nichts an Aktualität verloren.)

Während das AIDA-Modell für Werbung und Marketing vorsieht, zunächst einen Markt aufzubauen und, wenn das Verlangen der Käufer da ist, die Produkte zu verkaufen, wird die neue „Zeitwerk“ von Lange (und das ist bei anderen großen Marken nicht anders) mit einem sehr eigenständigen Fahrplan vermarktet. Statt einer Produkteinführung mit Vorschau, Pressearbeit, technischen Informationen, Entwicklungshintergründen, Historie und Produktvorstellung versuchte man etwas mystisches, geheimnisvolles, um auf einen Big-Bang hinzuarbeiten. Gerade so wie bei der Ankündigung des „großen Gabbo“ bei den Simpsons.

Der Big-Bang verteilte sich also neumodischerweise auf mehrere Small-Bangs, wodurch dann auch schon erste Informationen in den Markt sickerten. Man könnte darin fast ein AIDA-Modell vermuten, wären die Informationen eben nicht zu knapp und auf die Händler, nicht die Käufer, ausgerichtet. So zeigte man einige, wenige Tage vor der Markteinführung die Uhr zunächst einmal den inländischen Konzessionären. Einige Tage später durften ausgewählte Medienvertreter das Kunstwerk betrachten. Anschließend waren auch die internationalen Konzessionäre an der Reihe. Wie es sich für einen Big-Bang gehört, lancierte man geschickt einige kleine Details.

Nun, das AIDA-Prinzip könnte für einige Investitionsgüter (vor allem, wenn die Zielgruppe keine Erstkäufer sind) überholt sein. Da soll man mit Testimonials und anderen Betätigungen arbeiten.

Doch so geheimnisumwoben wie die „Zeitwerk“ von A. Lange & Söhne werden auch technische Produkte vermarktet, die eben nicht ein exklusives Luxusgut sind, sondern in Unternehmen beispielsweise Datenbanken durchrechnen sollen. Ganz gleich ob bei Hewlett-Packard, Oracle oder EMC (oder beliebigen anderen): Man verzichtet absichtlich, wenn vielleicht auch nicht immer bewusst, darauf, am Markt den notwendigen Bedarf nach neuen Produkten zu erzeugen. Auf einmal sind sie da und müssen von Vertrieblern in den Markt gedrückt werden.

Sucht man nach Ursachen für diese Methode, findet man zwei Aspekte: Kostendruck und Ignoranz. Die Ignoranz trifft man oft bei gerade jungen Kollegen, die ganz genau wissen, wie heutzutage Marketing zu machen ist. Aber nur die Ruhe: In fünf oder zehn Jahren haben sie sich ihre Hörner abgestoßen und besinnen sich im Großen und Ganzen auf die klassischen Methoden. Unter dem Etikett des Kostendrucks dürfen ignorante Manager die psychologisch und marketingtechnisch sauber begründeten Pfade verlassen.

So wäre es sinnvoll, ein Produkt rechtzeitig der Presse zu zeigen, damit diese – unter Berücksichtigung des redaktionellen Vorlaufs – die Markteinführung vorbereiten können. Sie informieren den Markt über die kommenden Produkte und wecken spätestens am Tag des Produkt-Launches mit Bildern und Hintergrundinformationen den Bedarf. Während in den Verlagen die Fachartikel vorbereitet werden, bringt der Anbieter seine Fachhändler auf Vordermann und den neuesten Stand. Aber weit gefehlt. Welch irrige Annahme.

Stattdessen warten Marketingabteilungen heute anscheinend verzweifelt darauf, dass ihre Entwicklungsabteilung ein neues Produkt ausspuckt. Dieses muss dann natürlich zuerst zum Fachhändler und am besten auch gleich zu einigen großen Kunden. Ach ja, und die Web-Seite und der Shop müssen auch aktualisiert werden. Ach ja, den Text von der Web-Seite und aus den Datenblättern schicken wir auch noch an die Fachpresse. Sollen die sich doch darauf einen Reim machen und, mit Erscheinen der nächsten Nummer in zwei, drei oder vier Wochen, auch noch ein paar Kunden erreichen. Ach ja, wir müssen unbedingt noch ein paar Presseartikel lancieren.

Nun kann sich jeder vorstellen, mit welcher Begeisterung sich ein Redakteur aus der Fachpresse über ein Produkt hermacht, zu dem ihm als Pressematerial eine komplette Mappe an Produktbroschüren, fünf Anwenderstories und 170 Powerpoint-Folien mit der kompletten Agitation hingeworfen werden. Das wäre etwa so, als würde man vom Redakteur erwarten, das Wetter vom 7. Mai 2009 als die größte Erfindung seit geschnittenem Brot anzukündigen.

Warum ist das so? Nun, ein wesentlicher Punkt ist das quartalsweise Denken der Unternehmensführer. Hier verbieten sich langfristige Produktstrategien ebenso wie sorgfältige geplante Markteinführungen. Ein Produkt muss dann raus, wenn es da ist. Der Markt dafür wird sich schon finden.

In den Fachzeitschriften ist deshalb immer häufiger etwa folgendes zu lesen: „Seit zwei, drei Monaten ist das neue Speichersystem Byteschnurbler von ACME auf dem Markt (usw.)“. Toll. Das sind Neuigkeiten.

zurück  •   zum Archiv   •  weiter