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„Der Holm“ ist deshalb besonders interessant, weil sich hier mit den Wikingern ein Wort mit einer identischen Wortbedeutung und ein Name für Landschaften und Personen in zweitausend Jahren über den halben europäischen Kontinent – zumindest aber von Island bis Moskau und vom Nordkap bis zu den Alpen – und über verschiedene Sprachen und Kulturen hinweg ausgestreckt haben.


15. JUNI 2013

Was skandinavische Inseln, Kulmbach und ich mit Neukölln zu tun haben

Immer wieder werde ich gefragt, warum ich so heiße wie ich heiße und die Antwort ist oftmals dieselbe, zugegeben wenig originelle: Weil meine Eltern mich so genannt haben. Hinter der Frage steckt mitunter das Interesse an der Bedeutung und der Herkunft meines Vornamens. Der, soviel ist klar, leitet sich nicht vom Axtstiel, vom Teil einer Radgabel oder gar einem Teil der Leiter ab. Der Vorname Holm kommt aus den nordischen Ländern und bedeutet zunächst nur „Insel“ und im weiteren ist Holm nicht nur eine Bezeichnung für eine Insel, sondern auch für Erhebungen in der Landschaft.

In Schweden und Dänemark ist Holm ein häufiger Vor- und Nachname. Ein Online-Telefonbuch von Stockholm kennt Holm fast 1500 mal als Namen und weitere rund 250 mal als Bestandteil eines Firmennamens. Auch ein Online-Telefonbuch von Kopenhagen steigt bei 1000 Ergebnissen erst einmal aus, will zumindest einen weiteren Anhaltspunkt genannt bekommen,  vor dem Weitersuchen. Wer also in Stockholm oder Kopenhagen an einem belebten Platz laut „Holm!“ ruft, wird bestimmt viel Aufmerksamkeit erlangen. Stockholm selbst ist natürlich eine Insel auf Pfählen oder eine von Pfählen geschützte Insel.

Auch im Englischen gibt es den Begriff Holm, und mit der gleichen Bedeutung wie in den skandinavischen Ländern wird Holm dort als Name verwendet.

Überaus erstaunt hat mich allerdings, als ich in der deutschen Wikipedia auf die Schlacht bei Cholm, eine im Zweiten Weltkrieg mehrere Monate dauernde Kesselschlacht vor Moskau, aufmerksam wurde. So bedeutet der russische Name der Stadt Cholm tatsächlich Hügel oder Insel, wie mir mein russischer Kollege Igor Levshin anhand der russischen Wikipedia bestätigte:

Заимств. из др.-герм. *hulma- (др.-сакс., англос. holm «высота, холм», др.-исл. holmr «островок», ср.-нж.-нем. holm «остров»

Übersetzt heißt das sinngemäß: Das Wort Cholm kommt aus dem Altgermanischen ‚hulma‘, dem Angelsächsischen ‚holm‘ und bezeichnet da einen Hügel oder eine erhöhte Stelle, dem Isländischen ‚holmr‘ mit der Bedeutung für ,kleine Insel‘ sowie aus dem Mittel- und Niederdeutschen, wo Holm ,Insel‘ bedeutet). Igor fügte noch hinzu, dass Holm als Name eher als ХолЬм, also geringfügig anders als Холм ausgesprochen wird, was aber wohl vernachlässigt werden könne.

Das Online Etymology Dictionary schreibt zu holm:

late O.E., from O.N. holmr "small island, especially in a bay or river," also "meadow by a shore," or cognate O.Dan. hulm "low lying land," from P.Gmc. *hul-maz, from PIE base *kel- "to rise, be elevated, be prominent; hill" (see hill). Obsolete, but preserved in place names. Cognate O.E. holm (only attested in poetic language) meant "sea, ocean, wave." Und auch die englische Stadt Durham hieß früher einmal Dunholm, also Hügelinsel, wie es bei Wikipedia zu lesen ist.

Sehr viele Orte mit „Holm“ gibt es nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Norddeutschland und bislang wurde mir bei jeder Recherche bestätigt, dass es da einen Hügel oder eine Erhebung in der Landschaft gibt. Ein Motorradkumpel fragte sogar, woher ich etwas von dem Hügel wisse, weil man diesen aufgrund eines Wäldchens nicht so richtig erkennen könnte.

Sogar das zwischen St. Petersburg und Moskau gelegene Novgorod hieß bei den Wikingern Holmgard, also Hügelstadt. Das Städtchen Cholm, dass den Anlass zu dieser umfangreicheren Recherche lieferte, ist übrigens keine 200 Kilometer von Novgorod entfernt. Die Wikinger trieben also nicht nur punktuell in großen Städten Handel.

So richtig interessant wird die Recherche um das Wort Holm durch einige Lautverschiebungen, denn je weiter man nach Süden und Osten vordringt, desto mehr verändert sich der Anlaut H hin zu G, CH und K. Es gibt also nicht nur Holme, sondern auch Golme, Cholme, Kolme und weiterhin auch Kulme, Chulme ud Chlume.

So schreibt das Deutsche Wörterbuch der Grimms unter kulm (Bd. 11, Sp. 2586)

(1)
KULM, m. berggipfel, bergkuppe.

schweiz. gulm, kulm m. f., oberste bergkuppe, bes. von kegelförmiger oder rundlicher gestalt, z. b. vom gipfel des Rigiberges Stalder 1, 494, als fem. z. b. bei Scheuchzer beschr. der berge in der Schweiz 208, auf der kulm (des Rigi);
[…]

Das klingt, als ob meine Theorie des paneurpopäischen Wortes nicht stimmen könnte, doch dann schreibt das DWB unter:

(2)
a) dem schweiz. worte liegt sachlich und räumlich nahe churwelsch culm m., freilich nicht bergspitze, sondern das wort für berg überhaupt, pl. ils culms gebirge (nur von den kleineren, dem dorfe nahen bergen, nicht von den hochalpen), wobei man an lat. culmen denkt, dessen begriff und form doch nicht genau stimmen (vgl. Diez 106, 2. a. 1, 134), während ital. colmo gipfel mit seiner blosz bildl. verwendung für kulm ganz unbrauchbar ist, es geht doch wol auf lat. cumulus zurück (lat. culmen gipfel ist it. culmine). das schweiz. k- gleich g- (d. h.: nicht ch-) stimmt zu einer roman. entlehnung, s. DWB K 2, f; eigen ist freilich daneben galm berggipfel oder rücken Stalder 1, 416.

b) ins Fichtelgebirge aber könnte das rom. wort nicht gelangt sein, schon im 13. jh.; doch bietet sich da ein anderer anklang: altsl. chlŭmŭ m. hügel, auch cholmŭ (s. Miklos. 1091b), böhm. chlum, russ. cholm'‘; daher ortsnamen, böhm. Chlum, dem. Chlumec, deutschböhm. eben Kulm. das fragliche deutsche gebiet hatte einst slav. bewohner, s. Bacmeister alem. wand. 154, wo auch der pagus Culm und villa Culmnaha in einer urk. v. 966 bei Dronke cod. dipl. Fuld. nr. 712 und Culmbach am Main

[Bd. 11, Sp. 2587]

(14. jh. Culmach anz. d. germ. mus. 1860 237) als slavisch angesprochen werden.

c) erwähnenswert ist doch auch ein heimischer anklang: kol kopf (sp. 1601), altn. kollr, und diesz auch berggipfel. das könnte wol den fremden wörtern die hand gereicht haben, wie so oft geschah.

Aber damit nicht genug.

Meyers Großes Konversationslexikon vermeldet:

Kulm (Kolm), abgerundeter Berggipfel, auch Name einzelner Berge, besonders in Thüringen, Sachsen und Bayern: 1) Lobensteiner K., Berg im Frankenwald, südwestlich von Lobenstein, 728 m hoch, mit Turm und schöner Rundsicht. 2) Saalfelder K., Berg nördlich von Saalfeld, rechts an der Saale, 486 m hoch, mit eisernem, 19 m hohem Turm und herrlicher Aussicht. 3) Rauher K., Berg im SW. des Fichtelgebirges, von diesem durch die Waldnab getrennt, bei Neustadt, 682 m hoch. 4) K. bei Mönchröden, Berg südlich vom Thüringer Wald, nordöstlich von Koburg, 462 m hoch. […]

Das bedeutet, dass das slawische Chulm und Cholm, was ja aus dem nordischen holmr kommt, auch noch für Kulmbach stimmt. Der erwähnte Kollr als Berggipfel lässt für mich sogar den Schluss zu – auch hier suche ich noch eine Bestätigung durch einen Etymologen – dass der Holmenkollen bei Oslo ein Pleonasmus ist (nämlich Bergberg) oder etwa mit Inselsberg übersetzt werden könnte. Und Inselsberge gibt es ja auch wieder in verschiedenen Landschaften.

Spannend wird es, wenn man den nordischen Kollen (den Berg), den Holm (die Insel) und das das italienische Collina (Hügelchen) zusammenführt. Dann könnte nämlich folgende kühne These folgen:

Der Name Neuköllns in Berlin ließe sich dann nämlich auf ein aus dem Nordischen kommendes Holm-Golm-Golln-Colln-Kölln oder Kollr-Kollen-Collen-Cöll(e)n-Kölln zurückführen. Alternativ statt des nordischen Bergs das lateinische colmo bzw. culmen/culmina der Ursprungsbegriff sein. In Italien ist der Begriff als Collina (Hügelchen) heute noch zu finden. Aber ob nun nordisch oder lateinisch: Der Name für Kölln bei Berlin würde so oder so auf einen Berg oder eine Anhöhe links der Spree, dort wo heute Schloßplatz und Werderscher Markt sich erstrecken, zurückzuführen sein.

Auch im Berliner Dom ist (im Ausstellungsbereich zur Geschichte des Doms) auf einer Erklärung zur Stadtgründung Berlins und Köllns der Hinweis enthalten, dass der Begriff auf Collen, wohl auf ein etwas erhöhtes Ufer der Spree zurückgehe. Allerdings glaubt man im Berliner Stadtmuseum, so die Auskunft der Direktorin auf meine Anfrage, dass Einwanderer aus dem Rheinland den Begriff mitgebracht hätten. Dagegen spricht aber, dass das rheinische Köln grundsätzlich nur mit einem L geschrieben wird und überdeutlich belegt auf das lateinische Colonia zurückzuführen ist. Da Latein nun wiederum in unserer Gegend die wichtigste Schriftform für Überlieferungen ist, halte ich persönlich Schreibfehler von Colonia hin zu Collonia für ausgeschlossen und ich habe bei den bisherigen Recherchen auch noch keine Hinweise auf solche Schreibfehler gefunden. Alle Kolonien (Siedlungen) der Römer blieben über die Jahrhunderte bei einem L.

Stimmt meine These, so wohnt mit dem Holm in Neukölln heute ein kleiner Hügel, eine kleine Insel, auf einem neuen kleinen Hügel.

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