schließen
Sie sind hier:

11. JULI 2006

Was uns die Globalisierung bringt und wie wir im Wettbewerb mit den Chinesen überleben können

Die sogenannten Wirtschaftsexperten sagen es uns. Sie sagen ein Jahr später, daß es eigentlich anders ist oder daß sie es wenigstens anders gemeint haben. Nein, ich meine jetzt nicht die Unternehmensbewertungen und Aktienmärkte, ich meine die Sache mit der Globalisierung und dem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb.

Nur vergessen die Brüder eines. Die Globalisierung ist ja nicht neu. Spätestens seitdem Spanier und Portugiesen zur See fahren, hat die Globalisierung eingesetzt. Später hat sie auch für Engländer und Holländer eingesetzt. Und im 19. Jahrhundert hat die Globalisierung dann auch für die Deutschen begonnen. Für die Amis haben lange Zeit die Engländer globalisiert. Das ist insofern wichtig, weil die Amis die Globalisierung anscheinend erst im 20. Jahrhundert entdeckt haben: in Europa, wohin sie koffeinhaltige Limonade, Kaugummi und Kunstfaserdamenstrümpfe brachten oder in Vietnam und Nordkorea, wohin sie ihre Art von Demokratie brachten. Irgendwann, so in den 90er Jahren, müssen dann ein paar amerikanische Elite-Absolventen begriffen haben, daß die Welt größer als die USA: und sie prägten das Marketing-Schlagwort von der Globalisierung.

Unser Graf Lambsdorff erklärte hingegen schon im Vorfeld der Hannover Messe 1981 - also vor 25 Jahren - daß die Globalisierung zu einer Verschärfung des Wettbewerbs führen wird und daß sich die deutsche Industrie, die sich auf dem Laatzener Volksfest versammelt, darüber Gedanken machen sollte.

Man hätte die Worte des Grafen ernst nehmen sollen, denn nun ist das Geschrei groß: Die Chinesen nehmen uns den Profit weg. Auweia. Wie konnte das passieren? Wie immer gibt es mehrere Gründe. Der naheliegendste ist natürlich der Manchester-Kapitalismus, der die Shareholder ergriffen und zu kompletter Ignoranz des Artikels 14 Absatz 2 des Grundgesetzes verleitet hat.

Es hat sich so eingebürgert, daß einige dieser Wirtschaftsexperten den CEOs (auf deutsch: Hauptausführungsoffizier, was auch immer das sein mag) vorsagen müssen. Wahrscheinlich, weil die CEOs, die mit spielerischer Leichtigkeit zum Beispiel Baukonzerne vernichten, ohne fremde Hilfe vermutlich schon mit einer Supermarktrechnung überfordert wären. Und als die Wirtschaftsexperten die Globalisierung dann auch endlich entdeckt hatten, fingen sie an, den CEOs vorzusagen, daß es doch viel schicker wäre, die Leute aus Ländern wie Indien oder China auszubeuten. Diese leben unter ganz erbärmlichen Lebensverhältnissen und sind ja bekanntlich mit einer Handvoll Reis am Tag zufrieden. Und deshalb sind sie auch viel billiger als europäische Arbeiter.

Zugleich haben die CEO-Vorsager erkannt, daß 1,3 Milliarden Chinesen auch 1,3 Milliarden Konsumenten sind. Das ist ein riesiger Markt: die Automobilhersteller von Audi bis VW reiben sich schon die Hände. Und von diesen riesigen Märkte in Kombination mit billigsten Arbeitskräften haben die CEO-Vorsager nicht nur den CEOs von Audi bis VW, sondern auch der Textilindustrie und dem Maschinenbau erzählt.

Daraufhin zogen die CEOs aus gen Osten und versuchten in der Ferne ihr Glück wie einst die Conquistadores. Unglücklicherweise können sich die Arbeiter im Alten Europa an dieser Euphorie so gar nicht teilhaben. Soziale Konflikte scheinen unabwendbar, denn Polen, Tschechen und Ungarn sind dem Kapitalisten schon lange zu teuer.

Indes zeigt sich eine Entwicklung, die den CEOs überhaupt nicht gefällt:

Erstens kommen die Regierungen von China, Indien, und den ganzen anderen Billiglohnländern auf die Idee, daß es besser wäre, das Geld dort zu kapitalisieren, wo die Arbeit entsteht. Sie gründen Initiativen zur Standortförderung. Fleißige Ingenieure haben sie auch. Sie investieren in billige Büro- und Fertigungskomplexe und sie haben eine kommunistische Administration.

Zweitens wird nicht jeder Chinese ein Auto kaufen, sondern nicht einmal jeder zweikommafünfte. Denn dann ist der Markt schon gedeckt. Dafür sprechen die soziale und demografische Struktur Chinas: Nicht jede Bäuerin in Chinas letztem Winkel wird von ihrem Mann einen Wagen bekommen, um in die Stadt zu fahren. Hinzu kommt, daß nicht jeder Chinese einen BMW kaufen wird. Sie werden wohl eher den inländischen, mithin chinesischen, Nachbau eines Dacia Logans bevorzugen, weil Autokauf nun mal ganz klar kaufkraftabhängig ist. Das hat Brasilien bereits vorgeführt: Dort hat sich der Automarkt in einem bevölkerungsreichen Land bei weitem nicht so positiv entwickelt, wie es die CEO-Vorsager früher einmal vorgesagt haben.

Drittens dürfen sich die westlichen CEOs nicht darauf verlassen, daß sie immer einen Technologie-Vorsprung für sich in Anspruch nehmen können. Soziologisch-ethnische Unterschiede wie eine völlig andere Auffassung von Religion, Höflichkeit, Alltagskultur und Kunst bilden einen weiteren Themenkomplex. Die CEOs denken zwar, daß ihre Vorsager ihnen da ein schlaues Buch zur Hand geben, aber das wird höchstens soweit reichen, daß der CEO nicht gleich beim ersten Meeting rausgeschmissen wird. Bis der CEO sein Weltbild an fernöstliche Standards angepaßt hat, hat ihm der Gegenspieler sein Know-how längst abgeknöpft.

"Die Chinesen" knöpfen uns das Know-how, die Technologie, die Arbeitsplätze ab. Solche Ziele müssen schnell erreichbar sein. Deshalb haben unsere westlichen CEOs gleich einmal ganze Fabriken nach China geschafft. Der Clou: So kann man aus Anlagen, die hier unter Umweltaspekten gar nicht mehr betrieben werden dürfen und die sowieso längst abgeschrieben sind, gleich noch ein paar Euronen rausholen. Zusammengefasst läßt sich die Situation so darstellen: Gestern haben sie unsere alten Maschinen bekommen, heute bekommen sie unsere Arbeit und morgen haben sie unser Know-how.

Weitere Fragen kommen auf: Was kann man dagegen tun? Wem nützt es? Warum sind westeuropäische Länder Hochlohnländer?

Leider hat der Arbeitnehmer nicht viel von seinem hohen Lohn: das meiste muß er für eine sehr teure Wohnung, ein sehr teures Auto, sehr teure Lebensmittel, sehr teure Gesundheit und dergleichen aufwenden. Und die Chinesen? Fünf oder mehr Leute wohnen in einem 30-Quadratmeter-Apartment, sie fahren Fahrrad oder Bus (und was für Busse) und leben von der sprichwörtlichen Handvoll Reis pro Tag. Selbstverständlich reichen die paar Euros viel länger.

Deshalb muß der Lebensstandard der Chinesen schleunigst auf unser westliches Niveau gebracht werden. Die Chinesen, der in Zukunft unsere Audis und unsere Werkzeugmaschinen baut, auch so schön leben möchte wie wir. Über Brieffreundschaften allein kann der Bürger das nicht realisieren. Die europäischen Regierungen sind hier in der Pflicht. Wenn der Chinese dann auch zwischen 25 und 30 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf haben möchte, wenn er sich ein schickes westliches Auto wünscht, wenn er auch einmal etwas exotisches Essen möchte, was in seinem Region nicht wächst, so wird er auch so viel Geld haben wollen, wie einer, der sich das im Westen schon leisten kann.

Als nächstes müssen die europäischen Regierungen über ihre weltweiten Organisationen in China die gleichen Umweltauflagen schaffen, wie sie bei uns Standard sind. Das Frühstücksfernsehen der ARD meldete in der Woche vom 17. Juli, daß bereits 12 Prozent des weltweit erzeugten Stroms aus China kommen. Leider wurde der Grad der dabei verursachten Umweltzerstörung nicht benannt.

Die gesamte Wirtschaft in China muß also darauf ausgerichtet werden, den Lebensstandard der Chinesen zu erhöhen. Das Wachstum des chinesischen Binnenmarktes ist bereits zu spüren: Zum Beispiel bei billigen Socken aus dem Supermarkt, die in den letzten Wochen richtig teurer geworden sind. Zehn Socken für zehn Mark - das war einmal. Deutsche Textilunternehmen, die ihre Produktion nach China verlagert haben, müssen nun vorrangig für den dortigen Binnenmarkt produzieren. Da wird nichts aus billig produzierten und teuer verkauften Socken. Die kommunistische Regierung wird das schon regeln.

Die Entwicklung, die sich jetzt bei den Socken abzeichnet, wird sich fortsetzen. Dann werden auch hochwertige Luxusgüter wie Autos und Investitionsgüter wie Windkraft-Anlagen oder Hochseeflotten zu allererst für die Chinesen gebaut. Die alte Welt wird die gegebenenfalls entstehende Überproduktion zu Preisen einkaufen dürfen, die über den heutigen Erzeugerpreisen liegen. Und die Chinesen nehmen unseren westlichen CEOs die Profite weg. Aber dann ist es zu spät, denn die Fabriken, das Fertigungs-Know-how und die Logistik wurden nach China verkauft und verraten. Aber wenigstens eine Prognose der CEO-Vorsager wird dann eingetroffen sein, die mit der Auto-Dichte.

zurück  •   zur Blog-Startseite   •  weiter