Im Dezember 2011 hatte eine Gruppe internationaler Journalisten die Gelegenheit zu einem Exklusiv-Besuch des zweitschnellsten Supercomputers der Welt, des Tianhe-1A, am NSCC in Tianjin in der Volksrepublik China.
12. Dezember 2011
Für Frieden und Kommunismus
Fährt man über die Autobahn von Beijing nach Tianjin wird einem schnell klar, dass China immer noch ein Entwicklungsland ist. Baracken mit teilweise eingestürzten Dächern und kleine Hütten aus grauen Steinen liegen zu tausenden zu Füßen der Hochhäuser, die oft schon mehr als 30 Stockwerken haben. Doch in den Baracken brennt Licht. Auf den maroden Dächern stehen Klimaanlagen. Satellitenschüsseln sind Zeugen der Zivilisation.
Unter nicht wenigen dieser Dächer entstehen die echten oder gefälschten Statussymbole der Konsumgesellschaft: Designer-Handtaschen, Schweizer Uhren, iPads. Dort werden PET-Flaschen zu Textilien recyclet und aus Spritzgußmaschinen fallen Teile für die Waren in unseren Elektronikmärkten. Das Wasser in den zahlreichen Seen zwischen diesen Barackensiedlungen ist brauner als die Elbe vor 30 Jahren.
Der Busfahrer mit der Gruppe asiatischer, amerikanischer und europäischer Journalisten hat einige Schwierigkeiten, in Tianjin den Weg zu finden. „Hier wird soviel gebaut, alles ändert sich so schnell“, erklärt der Übersetzer, der dann kurzerhand ein Taxi heranwinkt und dieses zum Lotsen macht. Ein zweiter Bus mit HPC-Anwendern und Wissenschaftlern folgt dicht auf, um nicht vom Wege abzukommen.
In Tianjin steht der derzeit zweitschnellste Supercomputer der Welt, der Tianhe-1A – das Ziel der Journalisten in Bus 1. Moderne Hochhäuser in einer ansprechenden, vielseitigen Architektur beeindrucken. Doch schon auf der anderen Straßenseite kann man dicht an dicht die 40er, 50er und 60er Jahre sehen und ein heruntergekommener Güterbahnhof wird hinter großen Plakatwänden versteckt.
Wer sich von den Neubaugebieten und den glitzernden Leuchtreklamen nicht blenden lässt, erkennt nicht nur die Armut sondern die allgegenwärtigen sozialistischen Strukturen. So werden die zum Tianhe-1A-Besuch eingeladenen, internationalen Journalisten zum Pressetross einer Wirtschaftsdelegation. Es scheint, als ginge es vor allem darum, den Direktor des Nationalen Supercomputing-Centrums (NSCC) in Tianjin zu beeindrucken. Da sollen Blitzlichtkaskaden den Raum füllen. Für eine genauere Recherche ist auf dieser Journalistenreise indes „keine Zeit“. Nach einigen Verhandlungen wird es dann doch noch jedem Journalisten gestattet, je eine Frage an den Direktor des NSCC zu richten. Jedoch nur, wenn die Tonbandgeräte abgeschaltet werden.
Die französische Kollegin will beispielsweise wissen, wie denn die Rechenleistung verteilt würde und welche Berechnungsschemata angewendet würden. „Das System wird durch einen definierten Schlüssel unter den Anwendern aufgeteilt. Viele unserer Ministerien stellen hierfür Mittel zur Verfügung“, so die Antwort: „Das System wird allein durch unsere Regierung finanziert. Die Anwender beteiligen sich über einen Kostenbeitrag an den Betriebs- und Personalkosten.“ Das Nationale Supercomputing-Centrum diene der Beschleunigung der Entwicklung von Wirtschaft, Bildung und Industrie in China. Die Hochleistungs-Rechenkapazitäten stünden allen Chinesen und der gesamten Welt zur Verfügung.
Stolz erklärt der NSCC-Director, dass der chinesische Supercomputer ein Ergebnis der Anstrengungen des chinesischen Volkes im Rahmen der Erfüllung des elften Fünfjahrplans ist.
Fast schon spannend verlief die „Diskussion“ rund um die Anwendungen, die auf dem chinesischen Superrechner laufen. So wurde zum Beispiel die Entschlüsselung des Genoms des „deutschen“ EHEC-Bakteriums genannt, das im Frühjahr 2011 in Deutschland und Europa für Krankheitsfälle mit zum Teil tödlichem Ausgang verantwortlich war. „Die Sequenzierung dieses Genoms war eine vergleichsweise kleine Anwendung, für die nur ein geringer Teil des Tianhe-1A vom BGI [dem staatlichen Genforschungsinstitut in Beijing] genutzt wurde.“ 2000 Compute-Nodes mit 4000 CPUs und 2000 GPUs des Tianhe-1A waren dabei im Einsatz.
Tatsächlich scheint der Tianhe-1A dem Wohle des chinesischen Volkes vor allem auf wissenschaftlichen Gebiet zu dienen. Als Anwendungsgebiete werde da neben der Biomedizin die Erkundung von Bodenschätzen, der globale Klimawandel, die Erforschung der Ozeane, Grundlagenforschung oder Rendering für Film und Unterhaltung genannt.
Die Fotowand vor dem Rechnerraum zeigt auch die Anwender, wobei jedoch außer einer Handvoll Rechenzentrumsmitarbeitern in weißen Kitteln darauf ausschließlich Militärs in Uniform zu sehen sind. Deren Anwendungen sind offensichtlich jene, die mit Begriffen wie Strömungssimulation, Erforschung „neuer Energieformen“, Materialforschung oder Ingenieurwesen umschrieben werden.
Als die Busse wieder nach Beijing fahren, stellen sich die europäischen Journalisten gegenseitig Fragen zum NSCC, zum CPU-GPU-Computing und zum modernen China. Das ist jedoch schon wieder in einen dicken Nebel gehüllt. Diesmal behindern jedoch nicht der Smog oder die Informationspolitik, sondern die Brandrodung auf den Wiesen den klaren Blick.
(Zu diesem Blog-Eintrag gibt es ergänzende Artikel in der iX 1/2012 und der c‘t 2/2012.)
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